Die Suhler Waffenindustrie im Spiegel der Jahrhunderte
Ein Aufsatz von Jozef Koutny aus 1960
Die Suhler Waffen- und Gewehrfabrikation, die in ihren Anfängen bis in das 15. Jahrhundert zurückreicht, versorgte zeitweise halb Europa mit Mordwaffen und hat es verstanden, bis 1945 ihre Stellung als „Rüstkammer“ zu behaupten. Waren es ursprünglich nur einige Büchsenschmiede, die sozusagen das Monopol der Waffenherstellung besaßen, so befaßten sich in der Kurfürstlich-Sächsischen Zeit, etwa um 1793, bereits rund 300 Arbeiter mit der Büchsenherstellung, während 9 Gewehrhandlungen den Absatz der Fertigfabrikate nach dem Ausland besorgten.
Mit dem Übergang Hennebergs an Preussen und der nunmehr für das preußische Heer benötigten Waffen begann der eigentliche Aufstieg der Suhler Waffenindustrie, allerdings oftmals unterbrochen durch Flauten, die zur Verelendung der Bevölkerung führten. So gingen 1815 .bis 1819 jährlich 12000 Gewehre an die preußische Armee, Die damals übliche, durch die zahlreichen, verstreut wohnenden Büchsenmacher bedingte Lage verhinderte eine zweckmäßige Teilung der Arbeit und dadurch die größtmögliche Vervollkommnung der Erzeugnisse bzw. Gleichmäßigkeit der Qualität. Und so kam es, daß die Heeresbestellungen zurückgingen. Wurden 1820 in Suhl noch 6000 Flinten, 3000 Paar Pistolen. und 300-Büchsen hergestellt, so sanken die Aufträge 1822 auf 4000 Flinten; 1823 beliefen sie sich nur mehr auf 2000 Flinten, 1824: 1500, 1825: 800, und 1826 bis 1830 auf jährlich rund 1000 Militärgewehre! . Dieser Auftragsrückgang nötigte die Büchsenmacher, sich um andere Verdienstmöglichkeiten umzusehen und so begann man 1823 mit der Herstellung von Perkussionsfeuerwaffen für nichtmilitärischen Gebrauch. Die Zweckmäßigkeit des Perkussionsschlosses gegenüber dem. bisherigen Feuersteinschloß war so augenfällig, daß nach den damit ausgestatteten Jagd- und Luxuswaffen starke Nachfrage war. Jährlich konnten mehr als 3000 Stück abgesetzt werden, und darüber hinaus konnte die Umänderung einer großen Menge älterer Luxusgewehre erfolgen. Neuen Auftrieb erhielt die Suhler Waffenindustrie 1830 durch umfangreiche Bestellungen des preußischen Kriegsministeriums, die sich bis 1832 auf 21519 Infanteriegewehre, 1000 Jägerbüchsen, 1000 Kavalleriekarabiner, 200 Paar Pistolen, 2000 Infanteriesäbel, 1000 Hirschfänger und 4000 Lanzenspitzen beliefen. Daneben wurden in den Jahren 1830 bis 1840 nach Holland 40000 Gewehre, Büchsen, Pistolen und eine Menge einzelner Waffenteile exportiert, Überdies erhielt Sachsen 1835/36 rund 3000 Perkussionsgewehre für seine Armee.
Diese Konjunktur gab Anlaß zur Errichtung der ersten zentralen Waffenfabrik in Suhl, die 1837 auf dem Grundstück des ehemaligen Klett-Schillingschen Rohrhammers in der Aue entstand. 1838 begann man dort in den neuen Räumen mit der Arbeit und die immer größeren staatlichen Auf- träge machten ständige Erweiterungen der Fabrikanlagen nötig. Seit 1839 wurden dort jährlich 10000 bis 12000 Steinschloßgewehre zu Perkussionswaffen umgearbeitet, während die Umänderung von weiteren rund 10000 in den privaten Werkstätten der Lieferanten erfolgte. Seit 1840 kam dann noch die Herstellung von jährlich 7000 neuen Perkussionsgewehren für die preussische Armee dazu. 1841 errichtete Carl Gottlieb Haenel daher eine zweite Gewehrfabrik, in der jährlich 2000 neue Perkussionsgewehre fertiggestellt und rund 1000 alte Steinschloßflinten modernisiert wurden. Größere Aufträge aus Sachsen-Coburg, Mecklenburg und Schleswig-Holstein versetzten die Suhler Waffenindustrie in die Lage, das Krisenjahr 1848 verhältnismäßig leichter zu überstehen als andere Industriezweige. Aber im darauffolgenden Jahr setzte auch bei den Büchsenmachern die Arbeitslosigkeit ein, die Zahl der Arbeiter sank rapide von 774 auf 390, und viele Familien sahen sich zur Auswanderung gezwungen.
Eine Besserung trat erst 1854 ein, als die preußische Militärverwaltung Gewehre zur Umänderung in sogenannte Miniegewehre nach Suhl sandte. Und bald folgten Aufträge aus den deutschen Bundesstaaten, aus Italien, Rußland, Nord- und Südamerika, die Infanteriegewehre brauchten, die preußische Staatsregierung benötigte Bajonette, Ladestöcke und Klingen, und. auch der Export von Jagd- und Luxuswaffen sowie Scheibengewehren in viele Länder hatte sich wieder gehoben. In höchster Blüte stand die Suhler Waffenindustrie 1860 bis 1863, wo umfangreiche Waffenaufträge aus Rußland, Italien, Württemberg und Nassau, sowie ein guter Absatz an Jagd- und Luxuswaffen zu verzeichnen war, Die anhaltende Konjunktur hatte zur Folge, daß inzwischen in Suhl weitere Waffenfabriken aus dem Boden schossen. So gab es 1864 die Betriebe V. Chr. Schilling und Doersch & v. Baumgarten, in welchem Militär- und Luxuswaffen, weiter Spangenberg & Sauer und C. G. Hänel, in denen ausschließlich Infanteriegewehre hergestellt wurden. Jagd und Luxuswaffen fertigten an die Betriebe Chr. Sturm;. J. ‚Funk & Co. und Halang & Bachner. Außerdem befaßten sich eine große Anzahl von Betrieben ebenfalls mit der Fertigung und Lieferung von Gewehren, mit der Herstellung von Rohren, Bajonetten, Ladestöcken u.a.m. In Suhl und Umgebung waren damals 1061 Spezialisten in der Waffenindustrie tätig, nicht gerechnet die mit untergeordneten Arbeiten beschäftigten Arbeiter. Auch die. Zeit nach 1866 war für die Suhler Waffenindustrie günstig. Galt es doch, die von den Preußen erbeuteten österreichischen Vorderlader zu Zündnadelgewehren umzuarbeiten. Ebenso profitierte Suhl an der sogenannten „Mauserzeit“, 1872, wo ein Teil der von Frankreich zu zahlenden Kriegskostenentschädigung zur Herstellung von Mausergewehren (Modeli 71) verwandt und dabei Suhl mit einem Auftrag von 150000 Gewehren bedacht worden war.
Bald aber folgten wieder Zeiten bitterster Not für die in der Waffenindustrie Beschäftigten, Die Gewehrfabriken standen still und Tausende von Arbeitern hatten keinen Verdienst. Bitter beklagten sich die Suhler Gewehrfabrikanten, daß Preußen seine drei Staatsgewehrfabriken in Spandau, Erfurt und Danzig bedeutend erweitert habe, daß es sogar der österreichischen Gewehrfabrik in Steyer 60000 Gewehre in Auftrag gegeben und damit diesem Betrieb fast für ein dreiviertel Jahr länger Arbeit gesichert habe als den Suhler Gewehrfabriken. Es kamen nur noch in Ausnahmefällen staatliche Aufträge nach Suhl und auch die Fabrikation blanker Waffen war inzwischen nach Solingen verlagert worden.
Endlich, 1881 bis 1884, gab es wieder größere Aufträge. Kavallerierevolver und später, in der sogenannten Karabinerzeit (1888 bis 1890), Karabiner wurden in Suhl hergestellt und machten sogar eine teilweise Vergrößerung der Fabrikanlagen notwendig. Man war aber doch gescheiter geworden und verließ sich nicht auf Freund „Mars“, sondern widmete sich mehr und mehr der Herstellung von Jagd- und Luxuswaffen sowie Scheibenbüchsen., 1830 entschloß sich sogar die 1751 gegründete älteste Gewehrfabrik Suhls, J. P. Sauer & Sohn, Jagdgewehre maschinell herzu- stellen.
Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte Suhl allein 49 Gewehrfabriken und Gewehrfabrikationsgeschäfte, 4 Gewehrlauffabriken, 2 Gewehrteile- und 2 Geschoßfabriken, abgesehen von den zahlreichen mittleren und kleineren Betrieben und Werkstätten selbständiger Systemmacher, Rohrmacher, Graveure, Schäfter usw.; dazu kam noch die umfangreiche Ge wehrfabrikation in Heinrichs, Albrechts, Viernau, Benshausen und Ebertshausen, Es.ist klar, daß auch der zweite Weltkrieg den, Suhler Waffenfabriken eine Hochkonjunktur brachte und Riesenprofite für die Fabrikanten, während die Arbeiter, die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter Gesundheit und Leben für die Kapitalisten zu Markte trugen. Heute sind die Kapitalisten hinweggefegt, und auch in Suhl regieren Werktätige als Beauftragte unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates. Lediglich die noch heute in aller Welt begehrten "Jagd- und Luxuswaffen“ werden hier noch angefertigt und stellen einen nicht zu übersehenden Aktivposten in der Exportbilanz unseres friedlichen Staates dar.
J. Koutny
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